Wie wurde Annes Tagebuch so berühmt?

Am 25. Juni 1947 erscheint Het Achterhuis (Das Hinterhaus) von Anne Frank auf Niederländisch in einer kleinen Auflage von 3.036 Exemplaren. Das ist ein erster Schritt, aber wie wurde es dann zu einem der meist übersetzten Bücher weltweit? Was waren die wichtigen Momente in dieser Entwicklung?

Besucher*innen des Anne Frank Hauses lesen aus Annes Tagebuch vor. Fragment aus dem Dokumentarfilm In de rij voor Anne Frank (Schlange stehen für Anne Frank) (2014).

Veröffentlichung des Tagebuchs in Deutschland und Frankreich (1950)

Nachdem das Tagebuch in den Niederlanden erschienen ist, findet Otto Frank in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich Verlage, die es auch veröffentlichen wollen. Beide Übersetzungen erscheinen im Jahr 1950. Die deutsche Erstausgabe mit 4.600 Exemplaren ist kein Bestseller. Das ändert sich, als Das Tagebuch der Anne Frank 1955 als preiswertes Taschenbuch erscheint. Und als auch das Theaterstück (siehe unten) in der BRD ein Erfolg wird, schnellt die Gesamtauflage auf 700.000 Exemplare in die Höhe. Der Erfolg des Bühnenstücks führt dazu, dass 1957 eine Ausgabe in der DDR erscheint.

Die französische Edition erscheint wie die deutsche 1950 und wird sehr positiv besprochen. Der amerikanische Schriftsteller Meyer Levin bekommt die französische Ausgabe in die Hände. Er wird eine wichtige Rolle für den Erfolg des Tagebuchs in den USA spielen.

‘Ich frug dann einmal meinen Verleger, was seiner Ansicht nach die Gründe seien, dass das Tagebuch von so vielen gelesen werde. Seiner Meinung nach umfasse das Tagebuch so viele Bereiche des Lebens, dass jeder Leser darin etwas finde, was ihn persönlich berühre.’

Erfolg in den USA nach Rezension in The New York Times (1952)

Grundlage der französischen Übersetzung - zum ersten Mal etwas über das Tagebuch in einem Artikel über „the attitude of American publishers towards books of Jewish content“ in der Zeitschrift Congress Weekly. Er bezeichnet Anne Frank als „highly gifted writer“ [hochbegabte Schriftstellerin] und nennt ihr Tagebuch „a work about the unfolding of the nature of a young girl absolutely pure in candor and at the same time in delicacy.“ [ein Werk über die Entfaltung der Natur eines jungen Mädchens, vollkommen rein in seiner Offenheit und auch in seinem Feingefühl.“]

Es ist für Otto nicht einfach, in den USA einen Verlag zu finden. Nachdem zehn Verlage das Manuskript abgelehnt haben, erwirbt Doubleday die Rechte. Dies ist vor allem der Herausgeberin Judith Jones zu verdanken, die in einem Stapel abgelehnter Manuskripte die französische Ausgabe des Tagebuchs entdeckte. Sie überzeugt ihre Vorgesetzten bei Doubleday, dass das Tagebuch eine Veröffentlichung in den USA verdient. Die Veröffentlichung von Annes Tagebuch in den USA im Jahr 1952 beginnt vorsichtig. Fünf Jahre nach der Erstausgabe in den Niederlanden kommt 1952 Anne Frank: The Diary of a Young Girl in einer bescheidenen Auflage von 5.000 Exemplaren auf den Markt.

Doubleday hat keine hohen Erwartungen und gibt kaum Geld für zusätzliche Werbung aus. Der Verkauf läuft nur schleppend. Aber nach einer begeisterten Besprechung durch den Autor Meyer Levin in The New York Times book Review (15. Juni 1952) läuft das Buch besser. Bald kommt eine zweite Auflage von 15.000 Exemplaren und wenige Tage später sogar eine dritte von 45.000. In kurzer Zeit erlebt das Tagebuch ständig neue Auflagen. Millionen Amerikaner lesen es.

Das Theaterstück The Diary of Anne Frank (1955)

Meyer Levin wird zu einem leidenschaftlichen Fürsprecher und will unbedingt, dass ein Theaterstück und ein Film auf der Grundlage des Tagebuchs entstehen. Er verfasst selbst ein Bühnenskript, doch Otto Frank lehnt es ab. Meyer Levin ist verbittert und es kommt sogar zu einem Prozess. Über diese Angelegenheit und die Rolle von Meyer Levin für die amerikanische Edition wurde viel geschrieben, nicht nur von Meyer Levin selbst in seinem Buch The Obsession (1973), sondern auch von Wissenschaftlern.

Schließlich betraut Otto Frank das Autorenpaar Frances Goodrich und Albert Hackett mit dieser Aufgabe. Knapp zwei Jahre schreiben sie an dem Skript. Am 5. Oktober 1955 hat The Diary of Anne Frank im Cort Theatre in New York Premiere. Vor der Premiere wünscht Otto Frank den Schauspielern viel Erfolg, doch er kann und will das Stück nicht sehen. Der Gedanke, dass auf der Bühne seine Familie dargestellt wird, ist zu schmerzlich.

Die letzte Aufführung am Broadway findet am 22. Juni 1957 statt. Nach 717 Vorstellungen geht das Stück in den USA auf Tournee. The Diary of Anne Frank gewinnt wichtige Preise, darunter den Pulitzer-Preis für Theater, den Tony Award und den New York Drama Critics’ Circle Award für Best Play.

Aufführungen auf der ganzen Welt

Das Theaterstück wird auch in vielen anderen Ländern aufgeführt. In den Niederlanden findet die Premiere am 27. November 1956 im Beisein von Königin Juliana und Prinz Bernhard statt. In Deutschland macht das Stück großen Eindruck, mehr als 2 Millionen Menschen sehen es sich an. Oft herrscht hinterher minutenlang Stille. Das Stück trägt in Deutschland - und auch in vielen anderen Ländern - sehr viel zur Bekanntheit des Tagebuchs bei.

Der Film The Diary of Anne Frank (1959)

Auf der Basis des Bühnenstücks schreiben Goodrich und Hackett auch das Drehbuch für den Film The Diary of Anne Frank. George Stevens führt Regie. Der Film hat am 18. März 1959 in New York Premiere.

Nach den verfügbaren Angaben ist der Film kein Kassenmagnet. Das Budget wird auf 3 Millionen Dollar geschätzt, die Bruttoeinnahmen auf 5 Millionen Dollar. Doch der Film wird mehrfach ausgezeichnet und gewinnt 3 Oscars:

  • Shelley Winters (Best Actress in a Supporting Role)
  • Best Cinematography (für einen Schwarzweißfilm)
  • Best Art Direction-Set (für einen Schwarzweißfilm).

Wie das Theaterstück trägt der Film - trotz der etwas enttäuschenden Zahlen - sicherlich zur Bekanntheit des Tagebuchs bei.

Literatur

Mehr über die Rolle von Meyer Levin:

  • Graver, Lawrence, An Obsession with Anne Frank: Meyer Levin and The Diary (Berkeley, CA: University of California Press, 1995).
  • Levin, Meyer, The Obsession (New York, NY: Simon and Schuster, 1973)
  • Melnick, Ralph, The Stolen Legacy of Anne Frank: Meyer Levin, Lillian Hellman, and the Staging of the Diary. (New Haven, CT & London: Yale University Press, 1997).
  • IMDB-Seite über "The Diary of Anne Frank" [12. Oktober 2018]